This page is only available in German.

Natalie Bergman: Home at Last (2021)

Der Himmel als Heimat, der Tod als Heimkehr: Ein neues Lied über die trostspendende Kraft einer alten christlichen Vorstellung.

De profundis, aus der Tiefe erklingt Natalie Bergmans Home at Last, was die heitere, von zarten Akustikgitarrenklängen begleitete Melodie erst nicht erahnen lässt. An einem Oktoberabend des Jahres 2019 hätte die Sängerin gemeinsam mit ihrem Bruder Elliot Bergman ein Konzert in New York geben sollen. Doch gegen Mittag erreicht sie die Nachricht vom Unfalltod ihres Vaters und ihrer Stiefmutter, die auf dem Highway mit einer Falschfahrerin zusammenstießen. In der Folgezeit findet das Geschwisterpaar, bekannt als Duo Wild Belle, nicht zurück in die Musik. Zu tief ist die Verunsicherung, die mit dem plötzlichen Verlust einhergeht. Natalie Bergman entschließt sich zu einer Auszeit im Benediktinerkloster Christ in the Desert im Chama Valley, New Mexico. Dort liegen die Wurzeln des im Mai 2021 erschienenen Solo-Albums Mercy, das zugleich Andenken an den verstorbenen und Ansprache an den ewigen Vater ist. Home at Last steht dort an fünfter Stelle.

Psalmen als Inspiration

Es ist das Psalmenlesen, das die Künstlerin schließlich wieder zum lyrischen Schreiben bewegt. Ihr Album ist demnach eine Art persönlicher Psalter, der zwischen Lob und Klage pendelt, musikalisch inspiriert von afro-amerikanischer Gospelmusik und zugleich durchsetzt von dem für Wild Belle typischen psychedelischen Klang. Wie die Klagepsalmen sind auch Bergmans Lieder ein Zeugnis verzweifelter Beharrlichkeit im Glauben: „Herr, höre meine Stimme!“, beginnt der 130. Psalm imperativisch. „I come to you to answer my prayer“, eröffnet Bergman Home at Last und stellt in vielen Fragen die große Frage nach dem Jenseits. Dabei bedient sie sich der Bilder, die das biblische Buch der Offenbarung anbietet: Sind die Toten im Paradiesgarten, wo der Baum des Lebens steht (Apk 2,7 und 22,2) und Gott alle Tränen von ihren Augen abwischt (Apk 21,4)? Im Refrain schließlich, der als choraler Wechselgesang von Frage und Anrufung konzipiert ist, schaukeln sich die Anfragen hoch bis zum hoffnungsvollen Höhepunkt: „Is he home at Last?“

Himmlisches Heimatversprechen 

Damit greift die Künstlerin eine alte christliche Metapher auf, die schon im mittelalterlichen Büchlein der ewigen Weisheit Heinrich von Seuses zu finden ist: „[D]u bist auf Erden ein fremder Gast, ein heimatloser Pilger. Und darum, so wie ein Pilger in seine Heimat zurückstrebt, wo die geliebten guten Freunde nach ihm ausschauen und mit großem schmerzlichen Verlangen auf ihn warten, so sollst auch du in das Vaterland eilen.“ Ähnlich imaginiert auch Bergman die jenseitige Heimat, wo sie ihren Vater vermutet, als einen Ort der Freude, an dem verlorene soziale Bindungen wiederhergestellt werden. Sie verwendet die religiöse Heimat somit als Raummetapher für etwas, das sowohl der Räumlichkeit als auch der Zeitlichkeit enthoben ist. Nicht dem Hier und Jetzt, sondern der jenseitigen Heimat gilt die hoffnungsvolle Sehnsucht.

Von der Klage zum Bekenntnis

Diese Welt kann für die Trauernde kein bergendes Zuhause mehr sein, wie die zweite Strophe veranschaulicht. Die Vaterfigur („a great man“) wird über die Metaphern des Kompasses und des Nordsterns als Orientierungspunkt im Leben der Künstlerin markiert, ohne den der Himmel ins Wanken gerät. In diesen Versen kommt auch der frühe Tod der Mutter zur Sprache, die an Krebs verstarb. Das kleinste soziale Heimatgefüge der Eltern ist nun zerbrochen, die Sängerin als Waisenkind zurückgelassen. Die entwurzelnde Wucht dieser Verlusterfahrungen führt sie nicht zuletzt dazu, Rechenschaft von Gott zu fordern: Ist der Entzug der geliebten Menschen eine Strafe für begangene Sünden? Soll er sie die Vergänglichkeit des Lebens lehren? Das der Heimatmetapher inhärente doppelte Versprechen, dass Gott ihrem Vater einen Ort bereithält und auch sie von ihrer irdischen Exilexistenz erlösen wird, durchzieht das ganze Album – besonders auch in I'm Going Home und The Gallows – und scheint für Bergmans eigenen Trauerprozess zentral. Wie die Psalmenschreiber wendet auch Bergman ihre (An-)Klage in ein Bekenntnis und beschließt ihr von Fragezeichen durchwobenes Gebet mit der Gewissheit: „He is home at last [Yes, he is, yes, he is].“

Heidelberg, im November 2024
Cosima Macco, TP C03

Zu sehen ist der Text von „Home at Last“ von Natalie Bergman

Natalie Bergman: Home at Last