Wissenschaftliches Profil
Das verwendete deutsche Wort Heimat weist eine komplexe Semantik auf, die sich seit der Frühen Neuzeit vielfach verändert hat und keineswegs eindeutig ist, zumal sie von semantisch nahestehenden Begriffsfeldern (Heim, Haus, Zuhause, Ort, Gemeinschaft, Gemeinde, Land, Vaterland, Nation usw.) sowie seinen Verwandten in anderen Sprachen und Kulturen flankiert bzw. durchdrungen wird. Gerade wegen dieser Komplexität und Polysemie eignet sich Heimat als Ausgangs- und Bezugspunkt interdisziplinärer Forschungen auch jenseits des modernen deutschen Sprachraums.
Wir untersuchen Konzepte und Praktiken naturräumlicher und soziokultureller Verbundenheit in ganz verschiedenen gesellschaftlichen, medialen und kulturellen Kontexten und verstehen Heimat als dynamisches Modell, das von der Vormoderne bis in die Gegenwart präsent ist, beobachtet und analysiert werden kann.
So wird Heimat für eine gemeinsame Forschungsleistung vieler geistes- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen operationalisierbar: Von der Moderne bis ins Mittelalter und weit ins Altertum zurück erforschen die Geschichts-, Musik- und Kunstwissenschaften, die Theologie sowie Alt- und Neuphilologien die vielfältigen Phänomene sozialer und individueller Bindungen an territoriale Räume und soziale Gruppen sowie Praktiken der Beheimatung und Diskurse von Zugehörigkeit und Fremdheit; regionalwissenschaftliche Perspektiven (Area Studies) entwickeln transkulturelle Dimensionen und untersuchen spezifische Konstruktionen von Heimat etwa in Ost- und Südostasien, in Nord- und Iberoamerika und in Europa; aktuelle Konzepte und Dimensionen von Heimat modellieren in diskursanalytischem oder empirischem Zugriff Politikwissenschaft, Ethnologie, Geographie und Rechtswissenschaft.
Indem das Forschungsprogramm die Modelltheorie zentral stellt, wird nicht nach überzeitlichen Merkmalen und auch nicht nach einer Geschichte des Begriffs von Heimat, sondern – anhand vielfältiger Modellobjekte – nach verschiedenen Auffassungen und multiplen Zugängen und ihren gemeinsamen Bezugspunkten gefragt. Damit wird eine Struktur angeboten, die es einerseits ermöglicht, im Zusammenspiel von geistes- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen die Vielfalt der Vorstellungen zu koordinieren, und die andererseits selbst ein wissenschaftlich fundiertes Modell von Heimat anbietet, das der interdisziplinären Auseinandersetzung eine gemeinsame Grundlage verschafft.