Heimat „am Phantasma“ – Deiktische Imaginationen verlorener und erhoffter Lebenswelten zwangsemigrierter deutschsprachiger Juden

Das Projekt untersucht, wie in Narrativen der nach Palästina geflohenen „Jeckes“ alte und neue Heimat(en) imaginiert und animiert, erinnert und versprachlicht werden.

Projektbeschreibung

Das Projekt verfolgt aus linguistischer Perspektive die Frage, wie Zwangsemigration im 20. Jahrhundert die alltagsweltlichen Modellierungen der Betroffenen von Heimat, Sprache und Zugehörigkeit lebensgeschichtlich prägt. Heimatverlust zerstört die vertraute, mit dem eigenen Leib verbundene, primärsprachlich vermittelte und unhinterfragt gegebene Welt in Reichweite. Diese bildet nicht mehr den räumlichen, zeitlichen und sozialen Kontext, auf den und innerhalb dessen Betroffene unmittelbar Bezug nehmen können, sondern sie wird zu einer unzugänglichen Welt und damit sprachlich-referenziell zum Phantasma (Bühler 1934).

Ausgangspunkt ist die Annahme, dass der Bruch mit den subjektiven Orientierungsdimensionen darin Ausdruck findet, wie Betroffene über Heimat und Zugehörigkeit sprechen. Untersucht werden daher sprachliche Praktiken der Referenz auf die verlorene und die neue Heimat sowie Praktiken der Vergegenwärtigung von Abwesendem im Erzählprozess. Der Fokus liegt zunächst auf den Heimatmodellierungen der nach Palästina / Israel zwangsemigrierten deutschen Jüdinnen und Juden. Von Bedeutung ist dabei vor der ideengeschichtlichen Matrix biblischer Heimatvorstellungen die Ambivalenz und Umkehr der Begriffe „Heimat“ und „Exil“, insofern die Flucht aus der alten, deutschsprachigen Heimat auch als Flucht aus dem diasporischen Exil in die biblisch verheißene Heimat, ins Gelobte Land, imaginiert und praktiziert werden konnte bzw. sollte. 

Wie zu zeigen sein wird, tritt Heimat in den mündlichen Zeugnissen der Betroffenen nicht nur als unwiederbringlich Verlorenes, sondern auch als neu zu Erschaffendes in Erscheinung. Verlust der sprachlich-kulturellen Heimat und Hoffnung auf eine neue Heimat, in der Zwangsemigrierte sich dennoch oft fremd fühlen, bilden die Pole eines dynamischen Prozesses, in dem sich verlorene und aktuelle Lebenswelt nicht dichotomisch gegenüberstehen, sondern vielfach überlagern. Die dynamischen Wechsel der subjektiven Orientierung zwischen aktueller Lebenswelt und erinnerter Heimat sollen erstmals im Rahmen der Deixistheorie linguistisch analysiert und phänomenologisch beschrieben werden.