Die Entdeckung der Heimat. Literarische Konzeptionen und Imaginationen von Zugehörigkeit im Mittelalter
Die Vielfalt und Andersartigkeit mittelalterlicher Vorstellungen von Heimat und Zugehörigkeit will das Teilprojekt in Erzählungen und Liedern auffinden.
Projektbeschreibung
Das Teilprojekt möchte jene Phänomene in der mittelalterlichen Literatur beschreiben, klassifizieren und interpretieren, die in der Moderne mit dem Begriff ‚Heimat‘ bezeichnet werden. D.h. es geht um die Zugehörigkeit des Einzelnen zu Räumen, Zeiten, Dingen, Praktiken und sozialen Gruppen, um die literarischen Konzeptionen und Imaginationen solcher Zugehörigkeiten. Grundsätzlich ist dabei zu berücksichtigen, dass typische Praktiken und Darstellungen, die seit dem 19. Jahrhundert mit ‚Heimat‘ verbunden werden (etwa dörfliche Arbeitszusammenhänge oder Landschaftsbilder), im Mittelalter so nicht greifbar sind. Auch der alt- bzw. mittelhochdeutsche Begriff heimôti / heimuote deckt sich nur bedingt mit ‚Heimat‘ im modernen Sinn. Andererseits tritt eine sinnlich-emotionale Bindung an liute und lant auch im Mittelalter schon punktuell und – diachron betrachtet – offenbar in zunehmendem Maße ins Bewusstsein. Vor allem weltliche und geistliche Texte, die von exilierten, entführten, geflüchteten oder sonst wie in Distanz zur vertrauten Umgebung geratenen Figuren erzählen, thematisieren Heimat ex negativo. Diese Bewusstwerdung der Heimat als eine verlorene wird in Reflexionen einzelner Figuren fassbar, so dass Heimat vor allem als Phänomen individueller Erfahrung aufscheint. Das Teilprojekt verfolgt das Ziel, diese ‚Entdeckung der Heimat‘ in der Literatur des Mittelalters auf breiter Textgrundlage und methodisch rückgekoppelt an die Modelltheorie des SFB zu beschreiben und literaturgeschichtlich und kulturanthropologisch zu interpretieren. Konkret sollen zunächst alle einschlägigen Belegstellen aus der deutschsprachigen Literatur des 9. bis 15. Jahrhunderts gesammelt und in einer Datenbank typologisiert und verzeichnet werden. Die Typologisierung bildet die Grundlage für eine Interpretation einzelner Texte und eine Überblicksdarstellung, die auch den diachronen Veränderungen der Heimatphänomene Rechnung trägt.